Katja Bohlander-Sahner

Vom Schwimmen in freien Gewässern

* * * * *

2020

Edition Schaumberg

489 Seiten

ISBN 978 3 941095 73 1

Wunderschöne Geschichte von Veränderung, Leben und Liebe

Noch ein Tipp:

Eine ganz andere Liebesgeschichte, aber ebenso berührend.

Es ist schon so eine Sache mit dem Schwimmen – zumal in freiem Wasser. Es kostet Kraft und wer sich nicht frei macht von seinen Ängsten, sich nicht einfach dem Wasser anvertraut, mit Zuversicht und Selbstvertrauen, dem wird es zur Qual. Doch einfach aufhören kann nicht.

Katja Bohlander-Sahner erzählt in einem gar nicht so klein angelegten Roman die Geschichten von drei Menschen, deren Leben aus der Bahn geworfen wurde. Ein Roman, über drei Leben, die neu ausgerichtet werden und, so will es die Geschichte, miteinander verbunden sind.

Da ist zunächst Rolf. In seinem Dorf im Saarland ist er hoch angesehen. Er nimmt am Dorfleben regen Anteil, ist in der CDU aktiv und im Schwimmverein, spielt Wasserball und hat in den Jahrzehnten seines Wirkens – er wird bald sechzig – der halben Gemeinde in Schwimmkursen beigebracht, nicht unterzugehen. Von Beruf ist er Lehrer, ein netter, eher biederer und durchschnittlicher Mann. Seine Frau war ehrgeiziger, eine promovierte Biologin. Sie gab den Ton an in der Familie. Rolf nahm es hin. Sein Sohn Jerome aber hielt die Situation nicht aus und verschwand mit sechzehn Jahren  spurlos. Sein Verschwinden stürzt Rolf und seine Frau in eine große Krise. Doch dann stirbt die Frau bei einem Autounfall und der Konflikt bleibt ungelöst.

Jerome ist abgehauen. Zuhause hielt er es nicht mehr aus. Die Schule machte keinen Spaß, eine Tischlerlehre ist nicht im Sinne der Mutter, die einen Akademiker zum Sohn haben will und auch der Vater ist kein rechter Rückhalt für ihn. Und dann ist da noch Hendrik, ein angeberischer Freund seines Vaters aus dem Schwimmverein, den er nicht ausstehen kann. Er hat ihn ertappt, als er vor Jahren seine damals dreijährige Schwester befummelte. Sagen konnte er es niemandem. Und so tat er das einzige, was er tun konnte: Er passte auf seine kleine Schwester auf, war ihr Begleiter und Beschützer, wo immer es möglich war. Eine Verantwortung, die zu viel war. Als er seine Mutter beim Ehebruch ausgerechnet mit Hendrik erwischt, flieht er, kehrt seinem alten Leben den Rücken und radelt los, nach Italien, um dort mit nichts als 500€ und viel Zuversicht ein neues und selbstbestimmtes Leben zu beginnen. Nun unregelmäßig gibt er seiner Familie per Telefon Lebenszeichen.

Zuletzt ist da Elaine, eine tüchtige Frau, die in ganz anderer Art vom Leben enttäuscht ist. Sie heiratete ihre Uniliebe und wurde so zur Untenehmersgattin einer reichen Familie in Hamburg. Aus dem Studentenleben stürzt sie in ein Leben voller Arbeit, Luxus und reichlich Statussymbolen. Völlig unverhofft erlebt sie aber, dass sie das alles nicht ausfüllt, als eine hochschwangere Frau vor ihrem Haus zusammenbricht und sie ihr helfen muss, auf ihrem Wohnzimmerteppich ein Kind zur Welt zu bringen. Die Mutter weiß, dass die Frauenschleppermafia hinter ihr her ist, vertraut das Kind Elaine an und flieht, sowie sie wieder laufen kann. Bald darauf wird sie ermordet und ihre Retterin bedroht. So kommt Elaine in ein Zeugenschutzprogramm und nach Saarbrücken. Ihr Ehemann ist ihr auf einmal fremd geworden. Seine kalte und herzlose Reaktion auf das Erlebnis öffnet ihr die Augen. Sie lebt den Lebenstraum ihres Mannes. Das ist nicht das, was sie sich ersehnt und was sie erfüllt. Sie will die Scheidung.

Rolf lebt im Saarland, Jerome flieht von dort und Elaine flieht dort hin … So verknüpfen sich nun die drei Lebenslinien.

Der Hauptteil der Erzählung ist der Romanze des alternden Rolf und der deutlich jüngeren Elaine gewidmet. Rolf ist in seiner Krise gewachsen und erlebt mit Elaine eine andere Partnerschaft, eine der gegenseitigen Hingabe, auch wenn beide ihre Geheimnisse mitbringen, die sie dem Anderen nur langsam enthüllen können. Elaine lernt Rolf und auch sein Dorf lieben. Hier muss sie sich nicht verbiegen ohne sich aufgeben. Bald ist allen klar: Hier sind zwei, die zusammen passen und sie ein harmonisches Paar.

Eingestreut in diese Geschichte sind die Stationen von Jeromes neuem Leben. Er schafft es trotz widriger Umstände, nicht gefunden zu werden, und erreicht sein Ziel: den Gardasee. Erst jobbt er als Kellner, dann bei einer illegalen Bautruppe und lernt schließlich bei einer Großschreinerei Chiara kennen, die später seine Frau wird. Es ist ein steiniger Weg, der ihm viel abverlangt und zugleich auch viel lehrt.

Die Autorin schreibt in sehr ruhigem Ton, melodisch und schlicht, blickt aber tief in ihre Figuren und trifft stets die richtigen Worte. Jeromes Episoden wirken unmittelbarer, denn sie präsentieren sich in der Gegenwartsform, während die Geschichte von Rolf und Elaine in der Vergangenheitsform geschildert wird. Ich muss gestehen, dass mir das erst spät auffiel. Das spricht für die Eleganz der Sprache, die sich ganz smooth auf die Leinwand des Kopfkinos projiziert, so dass man kaum je auf sie achtet. So soll es sein.

Was mir auch positiv auffiel, war, dass die Autorin Mut zum Rätselhaften hat. Nicht alle Hinter- und Beweggründe werden gleich berichtet. Der Leser muss manchmal lange auf Erklärungen warten. So entsteht ganz unaufdringlich eine ruhige Spannung, die einen sanft, aber unwiderstehlich mitnimmt.

Es ist eine Romanze, aber doch weit mehr. Es ist eine Geschichte vom Leben und da gehört zum Glück für alle, die es erleben dürfen, auch die Liebe dazu. Wo immer es darum geht, vage Gefühle für den Leser in Worte zu packen, gelingt es Katja Bohlander-Sahner sie beim Leser in authentischer Weise zu erwecken. Das Tempo ist der Geschichte angemessen. Es ist gemächlich aber stetig, so wie ein guter Schwimmer schwimmt. Das Schwimmen – diese Leidenschaft von Rolf zieht sich durch das Buch und wird zum Symbol. Wenn ich etwas zu bekritteln habe, dann vielleicht, dass die Kollegin nicht das ganze Potential dieses Bildes in der Geschichte ausschöpfen konnte. Ich denke, da wäre vielleicht noch der eine oder andere schöne Gedanke möglich gewesen. Doch das, ebenso wie der Wunsch, dass das Buch in einem größeren Verlag ein breiteres Publikum finden möge, ist nur kleinliches Gejammer.

Selten hat mich ein Buch so punktgenau abgeholt wie dieses. Das allein ist kein Qualitätsmerkmal, aber es ist schön, wenn einem dieses Glück bei einem so guten Buch wie diesem widerfährt. So kann ich aus vollem Herzen eine Leseempfehlung geben.

11.4.2021

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