Sir Arthur Conan Doyle

Ein Interviewversuch mit Hindernissen

12 tolle Fälle des genialen Ermittelers

Insel Verlag

255 Seiten

Noch ein Tipp:

Ganz anders, ruhiger, aber auch ein abgezockter Sauhund  ...

Für meinen Buchblog bemühe ich mich, immer wieder auch Originaltöne von Autoren einzufangen. Das gelingt ganz gut, denn wenn die Fragen nicht zu stereotyp sind, sind die meisten Kolleginnen und Kollegen nicht ungefällig.

Manchmal gibt es Probleme. Wie stelle ich den Kontakt her? Manche Autoren halten sich recht bedeckt. Doch wenn man sein Anliegen gut begründet, hilft gelegentlich der Verlag weiter. Sprachprobleme sind andere Schwierigkeiten. Der Google-Übersetzer ist ein praktikables Hilfsmittel, um Texten in fremden Zungen Sinn abzuringen. Deutsch aber ist mit einigen Eigenheiten für das elektronische Helferlein problematisch. Oft stellt es zwischen den Satzteilen nicht die richtigen Bezüge her oder – noch schlimmer – ist so verwirrt, dass es gar keine Bezüge herstellt. Heraus kommt dann statt einem gefälligen Satzkonstrukt ein Trümmerfeld aus Fragmenten, die sich lesen wie Gestammel. Daher bin ich bei automatischen Übersetzungen aus dem Deutschen in fremde Sprachen eher zurückhaltend und greife lieber, soweit ich kann, auf Sprachen zurück, die ich beherrsche. (In ihrer Gesamtzahl kann ich da eine anführen, von der ich zu behaupten wage, dass ich sie wenigstens halbwegs kann: Englisch. So habe ich neulich für John Garth habe ich eine kurzen und knappen Fragebogen gewählt und mein angelaufenes Schulenglisch auf Hochglanz poliert, ehe ich ihm schrieb und doch fand ich meine Fragen sprachlich eher hölzern, wenn ich sie seinen Antworten gegenüberstelle. Doch auch solche Probleme sind oft lösbar.

Doch was ist zu tun, wenn der Autor verstorben ist? Das ist ein wirklich schwieriges Unterfangen. Diese Kollegen halten sich wirklich bedeckt, mit sechs  Fuß Graberde. Da kann auch der Verlag wenig helfen. Als ich also die Idee bekam, Sir Arthur Conan Doyle zu interviewen, den geistigen Vater von Sherlock Holmes, war es zunächst nur eine Schnapsidee. Dabei hätte ich ihm sehr gerne einiges gesagt und manches gefragt. Denn sein unsterblicher Detektiv ist mir immer noch ein vergnüglicher Bettgefährte – Oh, bitte! Als Lektüre natürlich! – denn ohne ihn hätte ich mich vielleicht nie zum Schreiben von Erzählungen aufgerafft. Tatsächlich war eine meiner ersten Fingerübungen eine Einladung für Freunde im Stile einer Sherlock-Holmes-Kurzgeschichte.

Obwohl die Sache aussichtslos erschien, sammelte ich dennoch ein paar schöne Fragen. Ob er beispielsweise die modernen Adaptionen seiner Geschichten für angemessen findet. Oder ob er sich grämt, dass nun, da das Copyright auf seine Schöpfung ausgelaufen ist, sein Werk als Steinbruch dient für immer neue, epigonale Detektivgeschichten, die seinem genialen Ermittlerpaar untergeschoben werden. Die nicht kanonischen Fälle aus fremden Federn sind inzwischen bei weitem zahlreicher als die Originale. So füllte ich einen Bogen mit Fragen, ohne die Hoffnung zu hegen, dass ich sie ihm stellen könnte, bis ich zur Frage kam, wie wichtig in seinem Leben der Spiritismus gewesen sei und wie wichtig er ihm nun im Nachleben war. In diesem Moment rasteten die Zahnräder meines Geistes ein …

Spiritismus … War das ein Weg? Sir Arthur Conan Doyle war bekennender und praktizierender Spiritist. Konnte ich vielleicht mit einem Medium Zugang zu ihm bekommen?

Tante Google kannte genügend Dienstleisterinnen im interdimensionalen  Kommunikationsgewerbe, die man bemühen konnte. Nach einem Stündchen der Recherche hatte ich eine engere Wahl getroffen. Alle Fachkräfte, die ihren Schwerpunkt auf Alltags-, Ehe- und Berufsprobleme legten, kamen als Vermittler nicht in Betracht. Wenn der Wasserhahn leckt, rufe ich den Klempner und nicht den Schreiner. Auch allzu exotische Schamaninnen wollte ich nicht bemühen. Alte Inkageheimnisse schienen mir wenig geeignet zu sein, einen Schotten, der in England lebte, auf geeignete Weise anzusprechen. Bei einer Eingeweihten in pharaonischen Mysterien des alten Ägypten machte ich eine Ausnahme, war der Kollege doch auch Freimaurer, eine Bewegung, die ihre geistige Kraft auch aus der Quelle der ägyptischen Kultur schöpft, Drei Damen – es scheint ein vor allem weiblich dominierter Berufszweig zu sein – blieben am Ende übrig. Eine sortierte ich bald wieder aus. Sie verkaufte auch Pendel für allerlei Zwecke, doch die Fotos auf der Webseite entlarvten sie als Scharlatanin. An den Gewichten der Pendel, allesamt polierte Halbedelsteine, war nichts auszusetzen, doch waren sie an einen Anhänger angeklebt, mit Kettchen! Wo doch jeder weiß, dass ein gutes mystisches Pendel an einem Haar eines geliebten Menschen hängen muss und den direkten Kontakt zum Stein bedarf. Die angebotenen Pendel waren keine Werkzeuge fürs Supernaturalistische sondern überteuerter Modeschmuck.

Die zwei letzten Kandidatinnen, eine in einem Zentrum für geistige Erneuerung in Berner Oberland und eine in Wiesbaden-Kohlheck schrieb ich an und fragte, ob sie mir zu einem Interview mit einem Verblichenen verhelfen könnten. Der Kostenvoranschlag, den ich aus der Schweiz bekam, beendete alle weitere Korrespondenz. Er war weit jenseits meiner Möglichkeiten. Die Hessin hingegen schwieg sich über Geld aus, meinte aber, sie habe schon mit ihrer Gabe vorausgesehen, dass sie im Frühjahr der Presse dienen könne. Sie sähe jetzt schon vage die Gestalt des Gesprächspartners vor sich, wie er – oder sie, das Bild sein noch verschwommen – im intervitalen Astral-Salon, einer Art Wartesaal in der Ewigkeit, darauf warte, mit mir in Kontakt zu treten. Sie forderte aber für sich zeitlich unbeschränkt das Veröffentlichungsrecht an dem durch sie vermittelten Interview in Papier und  elektronisch. Dazu forderte sie auch alle nur denkbaren Aufführungs- und Vermarktungssrechte. Damit stellte sie ihre kaufmännische Kompetenz unter Beweis. Um sie, die Hellseherin und den heißen Draht in die Welt des Jenseitigen, in ihrem Fachgebiet zu prüfen, bat ich sie nun den Interviewpartner mittels ihrer Kunst zu identifizieren. Nach dreimaligem Email-Wechsel voller blumiger Wortwolken, legte sie sich auf einen Lyriker m/w von Weltruhm fest, der sein Sprachwerk auch vertonte. Auch wenn das John Lennon, Kurt Cobain oder Amy Winehouse einschloss, die sicher ebenfalls würdige Gesprächs-partner waren, zeigte Madame X. keine mich überzeugenden Talente.

 

An diesem Abend gab ich enttäuscht das Vorhaben auf, setzte mich in meinen Lieblingssessel und trank wenigstens ein ordentlichen Scotch auf den großen Schotten. Es blieb nicht bei einem. Ich machte einen regelrechten Streifzug durch die Hausbar, ausschließlich mit schottischen Single-Malts im Alter zwischen drei und achtzehn Jahren, vorwiegend aus dem Hochland. Und dann geschah das Wunder … Ich kam zurück aus dem Bad, wo ich – doch ich will nicht abschweifen! Plötzlich stand er da, aufrecht, in einem dunklen Anzug und Krawatte, einen Daumen in die Uhrtasche seiner Weste gehängt und mit gewaltigem eisgrauem Walrossbart, allerdings insgesamt ein wenig ätherisch, will sagen: leicht durchscheinend.

„Herr Bálly, nehme ich an?“

„Das ist richtig. Und sie sind?“

„Doyle, Medical Doctor!“

„Sir Arthur Conan Doyle?“

„Der Nämliche. Sehr erfreut, sie kennenzulernen.“

„Verzeihung, sind sie echt? Ich meine … Sie sprechen ein hervorragendes Deutsch. So völlig akzentfrei.“

"Mein Bester, sie sprechen mit einem Mann, der seit 91 Jahren tot ist und wundern sich ernsthaft zuallererst darüber, wie es sein kann, dass der akzentfrei ihre Sprache spricht? Wie mein lieber Doktor Watson haben sie das Talent, die nebensächlichste Frage in den Fokus zu rücken. Interessanter ist doch – finde ich – dass sie es geschafft haben, Kontakt vermittels eines geeigneten Fluidums Kontakt mit mir aufzunehmen.“

„Bitte?“ Ich war verwirrt.

„Sie haben mit Bedacht oder durch Glück und Zufall ein geeignetes Medium gefunden, um mit mir zu sprechen.“

„Ich habe mich bemüht, doch die Damen die ich …"

„Ich rede von einem stofflichen Medium“, unterbrach mich  mein Gast. „Einem Fluidum!“ Er deutete mit ausladender Geste auf die Batterie der Whiskey-Flaschen.

„Usque Beata!“, sagte er, doch es klang eher nach UschkeBaa. „Wasser des Lebens! Ein Elixier. Und, wenn ich die Flaschen ansehe … Ja, tatsächlich. Wenn wir das Alter der Brände addieren erhalten wir genau die Summe der Jahre, die mein Hinscheiden aus Ihrer Welt nun schon zurück liegt. Nebenbei bemerkt … wollen sie mir vielleicht einen Schluck anbieten?“

Selbstredend kam ich seinem Wunsch nach, setzte ihn in den anderen Sessel und wir begannen einen vergnügten Abend mit der Vernichtung meiner Whiskeyvorräte. Ich erfuhr, dass es ihn auch im Tode noch freut, dass seine Figuren immer noch so lebendig sind. Dass sie sozusagen ein Eigenleben gewonnen haben. Trotz des sehr eingeschränkt empfangbaren elektromagnetischen Wellen in der Ewigkeit habe er die Fernsehsendungen der Holmes-Verfilmungen mit Benedict Cumberbatch mit großem Vergnügen gesehen. Daraufhin lobten er die BBC als immer noch bedeutenden Verbreiter von Wahrheit und guter Unterhaltung. Nur mit dem etwas kruden Humor von Doctor Who könne er nicht viel anfangen. Zudem zeigte er sich gekränkt, dass der Doktor in all seinen Abenteuern noch nie ihn zum Thema genommen hatte, aber aber gleich mehrmals einen belgischen Sonnenblumenschmierer. (Ich fürchte, er meinte van Gogh.) Den Brexit bedauerte er heftig, auch wenn mir sein Grund noch immer sonderbar erschien. Nach dem Verlust des Empires war nach seiner Meinung die Europäische Union eine Chance gewesen, wie Britannien wieder alte Größe und Bedeutung erlangen konnte. Statt aber die führende Nation in diesem Bund zu werden, habe man sich zur Isolation entschlossen und wolle eine kleine Insel von zunehmend marginaler Bedeutung sein. Dass mit Jürgen Klopp ein Deutscher die Liverpooler Fußballmannschaft erfolgreich trainiert, mache ihm aber Freude. Interessanterweise bedauerte es, dass der Prince Charles seine besten Jahre als Kronprinz verlebte. Er, so meinte er, wäre ein großartiger König geworden, hätte er beizeiten König werden könne. Idealerweise etwa im Herbst 1996. Leider lobte er daraufhin sofort Königin Elisabeth, die erste wie die zweite, als gute und kluge Frauen, die man allzu oft im falschen Licht sähe, so dass ich nicht fragen konnte, wie er grade auf diesen Termin gekommen war.

Wir kamen auf Werke, die aus seinen abgeleitet waren. Da ich gerade den Auftakt einer Reihe von  Detektivgeschichten las, die sich um Sherlocks jüngere Schwerster ranken, erwähnte ich sie. Da zeigte Sir Arthur sich verwirrt. Nein. Ein Schwester hatte sein Detektiv nie, nur Mycroft, seinen Bruder und auch der werde vielfach zu holzschnittartig und steif dargestellt. Auf meine Nachfrage kannte er weder eine Enola noch eine Eurus Holmes. Er fand die Namen beide gleichermaßen befremdlich.

So füllten wir den Abend mit fröhlichster Unterhaltung, während wir die Flaschen leerten und die Diktierfunktion meines Handys heimlich mitlief. Damit, so hoffte ich, würde ich Euch das Interview im Wortlaut abtippen können. Leider war die Aufnahme nicht zu verwenden.

Als ich am nächsten Morgen mit reichlich dickem Kopf aus dem Bett kroch, war von meinem Gast nichts mehr zu sehen, die Whiskyflaschen leer – übrigens auch der Rest eines feinen Irischen Tropfens mit feiner Vanillenote. Da war Sir Arthur großzügig gewesen. Ich glaube, er erwähnte, er habe eine Großmutter mit irischen Ahnen gehabt.

Seltsamerweise offenbarte die Handyaufnahme nur Athmengeräusche, Genuschel und gelegentliche Laute, die entfernt an Schnarchen erinnern. Ich gehe von einem technischen Defekt aus. Auch mehrfache Versuche der erneuten Kontaktaufnahme mit frisch besorgtem Fluidum waren bislang nicht erfolgreich. Doch ich gebe nicht auf. Vielleicht kann ich Euch ja doch noch das Interview präsentieren.

8.4.2021

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