John Garth:
die Erfindung von Mittelerde
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Erschienen 2020, deutsch 2021
wbg Theiss
208 Seiten
9783806242607
reich illustriertes, profundes Sachbuch über die vielen Quellen, die J.R.R. Tolkien zu seiner Welt Mittelerde inspirierten
Noch ein Tipp:
ein weiteres wichtiges Buch über
Mittelerde – aber eher ein Klassiker
John Garth ist übrigens ein sehr liebenswürdiger Mensch mit feinem Humor. Woher ich das weiß? Er hat bei meinem Autorenquiz 5 x 5 mitgemacht.
Ohne Tolkiens phantastisches Werk wäre ich vielleicht nie Autor geworden wäre. Als ich von der Neuerscheinung dieses Buche hörte, bewarb mich um ein Leseexemplar. Ich war erfreut über die nette Ankündigung des Verlages, dass das Buch unterwegs sei und ich war beglückt, als ich das Buch in Händen hielt.
Dieses Werk macht schon Spaß, noch bevor man auch nur die erste Zeile gelesen hat. Es ist recht groß (269 mm x 221 mm). Mehr als ein Kilo Buch in einem sehr stabilem Pappeinband, gedruckt auf schwerem Papier, das den Geruch gut gemachter Bildbände verströmt. Die Fadenheftung verspricht Langlebigkeit und ein sauberer, guter Druck lässt die vielen, vielen Bilder in strahlenden Farben leuchten. Es gibt Bücher, die man einfach gerne in die Hand nimmt. Dieses gehört dazu.
Nicht erst seit den Filmen von Peter Jackson wissen viele etwas zu Tolkien und seiner Schöpfung zu sagen. Seine Welt ist zu überreich, zu detailliert, zu komplex, als dass man sie einfach als eine Fiktion abtun kann. Man sucht nach Erklärungen, wie solch eine organisch tief verflochtene Erfindung entstanden sein kann und findet auch rasch Erklärungsmodelle. Da ist die Leidenschaft, mit der Tolkien Sprachen erfand, die nach der Erfindung der Völker verlangten, die sie gesprochen haben könnte, da ist das traumatisierende Erleben der Schrecken des Grabenkrieges im ersten Weltenbrand. Da ist eine romantische Sehnsucht nach dem Frieden und Idyll einer verflossenen Jugend und mancherlei mehr. All dies ist nicht falsch. Dennoch greifen all diese Erklärungen zu kurz, denn sie sind zu einseitig. Schon im dritten Satz seines Buches stellt Garth klar, was er davon hält, und im darauffolgenden, was er versuchen will:
„Tolkiens stimmungsvolle Ortsbeschreibungen bezaubern nach wie vor, doch Informationen dazu im Netz sind bestenfalls dürftig oder völlig falsch. In diesem Buch möchte ich das Thema mit jener Sorgfalt behandeln, die es verdient.“
Garth macht es weder sich noch dem Leser leicht. Das Auenland ist eben nicht einfach nur aus der Erinnerung an das Dorf Sarehole entsprungen, in dem Tolkien die glücklichen Sommer seiner Kindheit verbrachte. Es spielt viel mehr hinein. Der Kontrast, den der noch ganz kleine Knabe erlebte, als er aus dem von gelber Steppe geprägten Afrika ins grüne, saftige England kam, spielt ebenso eine Rolle wie eine beinahe omnipräsente Werbekampagne von Shell, die in den 30ger-Jahren die Autofahrer einlud, die Schönheit Englands automobil zu erkunden. Viele der Orts- und Eigennahmen werden erkundet. Dabei geht vieles Hand in Hand, scherzhafte Anspielungen auf Familieninterna und prägende Menschen der Kindheit ebenso wie die Adaptionen existierender Orte oder sprachliche Übertragungen aus dem Walisischen.
Auch bei anderen Landstrichen kommt sehr viel zusammen und wird zu Inspiration: Längst vergangene Sprachen, die selbsterfunden, wobei die – wie auch die Geschichten ihrer Völker – einer steten Wandlung unterworfen waren. Bücher werden genannt, von denen man weiß, dass sie Tolkien bewegt haben, selbst wenn sie von Indianern in Kanada handeln, oder beeindruckende Bildbände über Vulkanismus. Archäologie und Geschichte spielen eine Rolle und auch Sagas und Legenden. Die nordische Mythologie ist ebenso wichtig wie die keltische und das Christentum. Auch Biographisches ist ein tiefer Brunnen der Inspiration, Afrika, England, die Reisen durchs Rheintal oder die Schweiz oder Schützengräben Frankreichs. Nicht zuletzt sind immer wieder auch die Bilder und Zeichnungen Tolkiens aufschlussreich, wenn sie wortlose Hinweise geben. Es ist eben nicht so einfach, wie manche Erklärungsversuche es erscheinen lassen.
Der Autor ist unglaublich fleißig gewesen, beweist tiefe Kenntnis und Liebe zum Thema. Er hat ein überaus reichhaltiges Material zusammengetragen und dem Leser aufbereitet. Er weist auf verborgene Bezüge hin und ist tief in die Bergwerke des Materials des fleißigen Professors gestiegen um in Briefen und wissenschaftlichen Arbeiten nach Spuren zu suchen, die sich auf Mittelerde ausgewirkt haben könnten. Seine Beute ist mehr als reichhaltig.
Erfreulicherweise bietet Garth keine Lösungen an. Er breitet vor dem Leser eher ein Sammelsurium an möglichen Inspirationspartikeln aus, die Tolkien hatte. Es sind aber nur Möglichkeiten. Was ihn beim Schreiben noch alles inspiriert haben mag, bewusst oder auch unbewusst, oder was ihn zwar interessiert hat, sich jedoch kaum niederschlug, bleibt vielfach im Dunkel. Das Buch zieht nur selten und wenn, dann mit Bedacht Schlussfolgerungen. Das ist gut so. So bleibt der Zauber der Bücher erhalten und wird nicht wegerklärt. Auch wird der Leser so nicht bevormundet. Allenfalls wird man angeregt, in sich hinein zu spüren, ob man etwas von diesem reichen Angebot der Mosaiksteinchen bei der eigenen Lektüre wiederfindet, wenn die bunten Bilder im Kopf erstehen.
Das Buch beschränkt sich auf die Landschaften, die Geographie Mittelerdes im weiteren Sinne. Dies ist gut so, denn so bleibt der Stoff bei aller Fülle noch handhabbar. Zugleich ist es aber schade, denn die Völker und Kulturen, und vor allem die vielen fassettenreichen Figuren finde ich mindestens ebenso interessant und würden eine ähnlich sorgfältige Betrachtung ebenfalls verdienen.
Ich kann das Buch allen Interessierten warm ans Herz legen und wer ein edles Geschenk für einen Elbenfreund sucht, ist damit bestens bedient.
15.3.2021
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