Uta Seeburg
Der falsche Preuße
* * * *
Erschienen 2020
Harper Collins
352 Seiten
ISBN: 9783959675376
historischer Wohlfühlkrimi aus
dem alten München
Noch ein Tipp:
Karl Valentins Bilderschatz ist eine tolle Fundgrube über das alte München!
Das Buch nimmt den Leser mit nach München, der pulsierenden Hauptstadt Bayerns, einem Brennpunkt von Technik und Fortschritt. Die Straßenbahnen fahren schon mit Dampf, und sie sollen sogar elektrifiziert werden. Inzwischen machen bereits 15 heimische Automobilfahrer die Pferde scheu. Auf allem ruht Herrschaft des Prinzregenten ebenso mild wie die Oktobersonne zu Beginn der Geschichte. Außer ein paar Raufhändeln hat der neue Sonderermittler der Gendarmerie München, Wilhelm von Gryszinki, nicht viel zu tun.
Er ist ein Import, ein Preuße, der in Berlin und Graz moderne kriminalistische Methoden studiert hat und nun auch in München mit Wissenschaft Fälle lösen soll. Bisher verließ man sich zu sehr auf Zeugenaussagen, die leider oft widersprüchlich und nur wenig zuverlässig waren. Seine neuen Methoden sollen das ändern.
Der Neumünchner Gryszinski hat sich mit seiner jungen Familie gut eingelebt. Er bewohnt eine sehr schöne Beletage-Wohnung im Lehel – mit nur einem winzigen Mangel, der als netter running-gag immer wieder im Buch auftaucht – und einer recht patenten Haushaltshilfe. Dass er sich so wohlfühlt liegt wohl auch daran, dass er nicht der typische Preuße ist. Die bajuwarische Gemütlichkeit und Sinnenfreude, vor allem aber das Essen (und Trinken), gefallen ihm weit besser als die preußische-protestantische Nüchternheit mit ihrem Hang zu Drill und Askese.
Dann wird in einer Grünanlage eine rätselhafte Leiche gefunden und der Sonderermittler bekommt seinen ersten großen Fall. Dem Toten wurde mit Schrot das Gesicht weg geschossen, er war in einen extravaganten Federumhang gehüllt und um die Sache noch verwirrender zu machen, findet man neben dem Toten die Fußspuren eines Elefanten.
Gryszinski und seine Ermittler beginnen ihre Arbeit. Er hat vor allem zwei Helfer. Einen Wachtmeister, ein Münchner „Eingeborener“ mit riesigem „Spezlpool“ und einen eher unauffälliger Schwaben, einen methodischen und fleißigen Arbeiter. Schon bald rückt ein bizarrer Mann in den Fokus der Untersuchung, ein Eisenbahnmagnat und Selfmademan, Eduard Lemke. Bettelarm in Berlin geboren und in der Welt herumgestoßen, schaffte er sich durch Gönner, Geschick und Rücksichtslosigkeit in Amerika und Afrika ein gewaltiges Vermögen. Nun in München heiratete er die Tochter eines Brauereibesitzers und bewohnt in der noblen Vorstadt Haidhausen eine Villa, die er mit allen möglichen (und ein paar unmöglichen) technischen Schikanen ausstatten ließ.
Die Ermittlungen haben eben Fahrt aufgenommen, da wird Gryszinski in die preußische Botschaft zitiert. Dort ist man sehr diskret aber nachdrücklich ebenfalls an Lemke interessiert. Ob Lemke den Mord verübte, ist Berlin egal, aber wenn ein Landsmann gegen den Mann schon mal ermittelt, dann soll er bitte auch gleich die Nachforschungen in ihrem Sinne ausdehnen. Der Botschafter geht davon aus, dass Lemke den Tod einer kompletten preußischen Forschungsexpedition in Afrika verschuldet hat und fordert den Beweis dafür. Nun ist es für Gryszinski vorbei mit der Gemütlichkeit. Er arbeitet plötzlich für zwei Herren, kämpft mit einem Loyalitätskonflikt, wird wider Willen Geheimdienstmitarbeiter mit einem Verbindungs- und Führungsoffizier, der sich bei ihm daheim als Hausgast einnistet und ein wenig zu galant gegenüber seiner Gastgeberin verhält. Obendrein muss sogar ein Duell ausfechten.
Das Buch ist der Debütroman einer Berlinerin, die in München lebt. Man spürt in vielen kleinen Bemerkungen, wie tief das Buch von der Liebe zum Schauplatz durchweht ist. Allerdings ist der Blick auf das München um die Jahrhundertwende ein sehr freundlicher. Der erzkonservativ-reaktionäre Geist, der über den Maßkrügen allenthalben wehte, wird nicht gezeigt und auch die preußisch-bayrischen Animositäten sind nur angedeutet.
Dennoch ist es wunderschönes Bild, ein lebendiges, buntes, vielgestaltiges Panoptikum mit einer Vielzahl von Einzelheiten und historischen Details. Auch das Personal macht Spaß. Die Figuren sind schön gezeichnet und man folgt ihnen gerne . Leider konnte manche Figur noch nicht wirklich zeigen, was alles in ihr steckt. Ich bin sicher, manche Figur hat noch großes Potential und das macht schon heute Spaß auf einen neuen Fall.
Apropos … der Fall, die Handlung! Hier und da entwickelte sie sich ein wenig langsam, zu sehr war der Hauptverdächtige Lemke im Mittelpunkt, ohne dass man rechte Ermittlungsfortschritte erzielte. Dennoch gelingt dem Buch ein gelungenes, weitgehend überzeugendes Ende. Eine kleine Einschränkung muss ich ehrlicherweise aber machen, denn ein paar der Details der Villa, die für den von der Autorin gewählten Showdown unverzichtbar ist, fand ich leider wenig überzeugend und auch unnötig. Hier wäre etwas weniger vielleicht mehr gewesen. In meinen Augen ist das nicht allein eine Frage des Geschmacks, sondern leider auch eine der Glaubwürdigkeit.
In Summe habe ich mich aber sehr gut unterhalten gefühlt, ein paar Histörchen und Details erfahren, die ich noch nicht wusste und freue mich schon sehr, wenn Gryszinski wieder einmal ermitteln darf.
Nebenbei bemerkt – neben dem Buch ist auch noch die ausgezeichnete Website von Uta Seeburg sehr empfehlenswert und unbedingt einen Besuch wert. Hier bekommt man einen noch besseren Eindruck von den Ereignissen und Orten und der Zeit.
6.3.2021
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